Montag, 9. November 2009

Teil 4: Cuy al Horno

Nach einer Stunde kamen wir am Restaurant an. Wie immer wurden während der Fahrt stets die gleichen Themen angesprochen. Das Befinden der Familie, die Gesundheit und tagesaktuelle Probleme aus Politik und Wirtschaft. Es ist wie das Abarbeiten einer ungeschriebenen Liste mit Tagesordnungspunkten. Pünktlich nach Abarbeitung aller Punkte fahren wir am Restaurant vor. So war auf jeder Fahrt und es sollte sich auch nicht ändern.

Das Restaurant befindet sich in einem kleinen Hotel mit separatem Eingang. Vor dem Hotel befindet sich ein stets gepflegte Grünanlage mit verschiedenen einheimischen Pflanzenarten. Dazwischen die Stellplätze für die Autos der Gäste. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Stellplätze tatsächlich dafür eingerichtet wurden, oder ob die Gäste diese Flächen selbst zu restaurantnahen Stellflächen erklärt haben. Das Restaurant erinnert mich wenig daran, dass ich mich in Lima, der Hauptstadt von Peru, befinde. Es ist weder etwas vom peruanischen Flair noch Einflüssen der Einrichtungsgewohnheiten der Peruaner. Eher erinnert mich das Restaurant an ein Verwaltungsgebäude aus sozialistischen Zeiten in der CSSR. Ich würde ich es optisch wohl in die siebziger Jahre einordnen. Dennoch hatte es mit seinen rotbraunen Velourstühlen, den hellbraunen Vorhängen, welche bis zum Boden reichten und dem braunen Teppichen etwas gemütliches, was ich in manchen modernen Restaurants in Europa vermisse.

Wie immer, wählen, wir einen Tisch an einem der großen Fenster, welche einen Blick auf den Innenhof des Hotels gewähren. Übersichtlich präsentieren sich dort um einen etwa fünfzehn Meter langen und zehn Meter breiten Pool vierzehn Sonnenliegen. Jeder Liege mit einem Sonnenschirm ausgestattet. Belegt war keine der Sonnenliegen. Wenn ich zurück denke, kann ich mich nicht erinnern, ob ich überhaupt schon einmal bei einem meiner vielen Besuche in diesem Restaurant einen Badegast gesehen habe. Ich nutze diese Feststellung, um mit Persas ein neues Gesprächsthema zu eröffnen. „Ist dir schon aufgefallen, dass man nie Leute am Pool liegen sieht?“ sagte ich zu Persas, welche mir am Tisch gegenüber saß. Persas drehte seinen Kopf langsam zur Fensterscheibe und blickte prüfend über alle vierzehn Liegen. „Stimmt, niemand liegt draußen am Pool. Sonst auch nicht?“. „Nein, sonst habe ich auch nie jemanden am oder im Pool gesehen.“ Erwiderte ich seine kurze Ausführung zu der von mir gemachten Feststellung. „Wir können das nächste Mal Badesachen mitbringen und den Pool nutzen, wenn er dir gefällt“ meinte Persas zu mir. Offensichtlich hatte er mich falsch verstanden. Es ging mir nicht um das Benutzen der Sonnenliegen oder des Pools, sondern lediglich darum, dass es mir eben aufgefallen ist, dass nie jemand diesen Pool benutzt. „Nein“ sagte ich zu Persas  „Das ist nicht notwendig. Ich merkte nur soeben, dass der Pool stets ohne Gäste ist.“ Eigentlich war es ja nicht mein Anliegen, mit Persas über die Belegungsproblematik des Pools der Hotelanlage zu sprechen. Irgendwie suchte ich den Einstieg in ein neues Gespräch und was noch wichtiger war: Ich suchte den Übergang zum eigentlichen Grund meiner Reise nach Peru.  

Wie bei jedem Besuch in diesem Restaurant empfiehlt mir Persas „Cuy al Horno“. Übersetzt bedeutet dies „Meerschweinchen im Ofen“. Bei früheren Treffen habe ich stets versucht ihm zu erklären, dass es nicht zu unseren Essgewohnheiten gehört, gebackene Meerschweinchen zu essen. Irgendwann habe ich dann damit aufgehört, ihm dies jedes Mal erneut erklären zu wollen. Vielleicht hat er es schon längst verstanden und es ist für Persas ein liebgewonnenes Ritual, wenn er mich immer wieder auf „Cuy al Horno“ aufmerksam macht. Und wahrscheinlich gehört es dann auch zu diesem Ritual, dass ich innerlich hoffe, dass Persas kein Meerschweinchen von der Speisekarte wählen wird.  Meine Entscheidung fällt auf „Rocoto relleno“, zwei roten Paprika, gefüllt mit Fleisch, Eiern und Kartoffeln.  „Danke Persas“ dachte ich, als er sich für gegrillte Fleischstreifen mit Pommes und Tomaten entscheidet.

„Es gibt diesmal einen ganz bestimmten Grund für meine Reise nach Peru“ sagte ich zu Persas, nachdem ich meinen ganzen Mut zusammen genommen habe und nun endlich das Thema ansprach, welches mich seit Monaten am Meisten beschäftigt. „Du hättest Cuy al Horno wirklich einmal probieren können“ antwortete Persas mir.  Mein Einstieg in das Thema war offensichtlich schon nach einem Satz geplatzt. Obwohl wir zwischenzeitlich bereits unser Essen bestellt hatten, war Persas noch immer in en Gedanken bei der Auswahl des richtigen Essens. „OK“, dachte ich und werde es nochmal nach dem Essen versuchen, das Thema anzusprechen. Doch dann sagte Persas zu mir, während der wieder die Sonnenliegen am Pool musterte: „Welchen besonderen Grund gibt es für deinen Besuch in Peru?“ Jetzt war es soweit, ich konnte Persas von meinen jahrelangen Nachforschungen zur Canbuxi – Pflanze erzählen und ihm darlegen, dass mich nur ein Besuch bei einigen unkontaktierten Indianerstämmen im Regenwald bei meiner Forschung weiterhelfen kann.  Und Persas sollte derjenige sein, welcher mich begleitet und die ersten Kontakte herstellen wird. „Willst Du die Sonnenliegen prüfen, die noch niemand benutzt hat?“ Bei diesem Satz blickte Persas mich an und hatte ein leichtes Lächeln eingestellt. „Nein, vergiss die Liegen“ antworte ich ihm. „Erinnerst Du mich an das Buch „Unsere Einwohner und Ihre Traditionen“ von  Edisa Robles?“ fragte ich Persas. „Nein, ich habe noch nie etwas von diesem Buch gehört“.  „Doch“ widerte ich „du selbst hast es mir vor einigen Jahren auf einem Marktplatz hier in Lima empfohlen. Es ist eine Neuauflage gewesen. Die Erstauflage erschien bereits im Jahr 1931“. „Ja das kann sein, aber ich erinnere mich nicht mehr daran. Was ist mit diesem Buch? Brauchst du ein neues? Wo ist denn das damals gekaufte Buch verblieben?“ antworte Persas mir. „Nein Persas, ich habe das Buch noch. Aber darin habe ich ein paar interessante Zeilen über einen alten Kult und eine Pflanze mit dem Namen Canbuxi gelesen. Wegen dieser Pflanze bin ich heute hier in Peru.“ Persas schaute mich fragend an. Mir war klar: von Canbuxi hat er noch nichts gehört. Dies wird es wohl noch schwieriger machen, ihn von einer Fahrt zu den Indianerstämmen in den peruanischen Regenwald zu überreden.  „Du suchst Canbuxi?“ fragte mich Persas.

Fortsetzung folgt …..